Rückblick auf die 5. ICSA 2019 in Ilmenau
„Was ist mit Stereo? Stereo ist nur mal kurz draußen spielen, während sich Surround drinnen ein wenig austobt!“ Das war der Beginn der immersiven Aufnahmen Ende der Neunziger – aber tatsächlich blieb der große Durchbruch von Immersive Audio erst einmal aus. Surround-Sound, Spatial Audio, Binaural Audio oder 360-Grad-Audio beschränkte sich zumindest für den Konsumenten zunächst auf sparsam verwendete Phasenexperimente, additive Effekthascherei und akustisch quer durch das Kinopublikum galoppierende Saurierherden.
Willkommen im Hier und Jetzt!
Wie Messen wie die Gamescom eindrucksvoll beweisen, hat sich die richtungsgerechte Audiowiedergabe vollständig aus ihrem ehemaligen Nischendasein gelöst. Besonders in ihrer kopfhörergebundenen Binaural-Audio-Form ist sie Seite an Seite mit den grafischen Umsetzungen virtueller Realitäten vollständig in der konsumierenden Gesellschaft angekommen. Der vermehrte Einsatz von immersiv arbeitenden 3D-Audiolösungen eröffnet Audio-Kreativen und Sounddesignern komplett neue Wege des künstlerischen Ausdrucks, jenseits der rein technischen Umsetzung per Binauralwiedergabe oder Lautsprecherinstallation. Angesichts einer schnell fortschreitenden Entwicklung gerät der qualifizierte Austausch zwischen Produktionspraxis, Wissenschaft und Technologie auf Tagungen wie der ICSA zu einem wichtigen Antriebsmoment der Branche.
Viele gut ausgestattete Räume charakterisierten den ICSA-Standort an der TU Ilmenau und dem Fraunhofer IDMT. Hier zu sehen ist das 3DP-Lab bei einem Workshop von Lasse Nipkow. Foto: Stefani Renner
Konferenz und Plattform
Unter diesem Stern trafen sich Tonschaffende, Wissenschaftler und Entwickler aus den unterschiedlichsten Disziplinen in diesem Jahr bereits zum fünften Mal, um sich auf einer vom VDT initiierten International Conference on Spatial Audio anhand praktischer Workshops, Vorträge und Seminare gegenseitig über die neusten Trends und Konzepte aus dem immer größer werdenden Feld des Spatial Audio auf den neusten Stand zu bringen. Nach den Standorten Detmold (2011), Erlangen (2014) und Graz (2015, 2017) fand die ICSA 2019 in den Räumlichkeiten der Technischen Universität Ilmenau unter der Leitung und vorbildlichen Organisation von Karlheinz Brandenburg, Monique Rodegast und Stephan Werner statt, unterstützt vom Fraunhofer Institute for Digital Media Technology IDMT und natürlich vom VDT.
Nicht alle der mehr als 150 Teilnehmer aus 12 Ländern, der 50 Vortragenden und 12 Sponsoren haben es auf das Abschlussbild geschafft. Manche der Veranstaltungen waren so spannend, dass das Publikum es nicht pünktlich in die Pause samt Fotoshooting geschafft hatte … Foto: Jörn Nettingsmeier
Schwerpunkt und Programm
Interdisziplinarität stand dabei auch auf der diesjährigen Konferenz wieder fest im thematischen Zentrum der Veranstaltungsinhalte (https://vdt-icsa.de/program/). Vor dem Hintergrund der voranschreitenden technischen Entwicklung rücken die künstlerischen Aspekte und Möglichkeiten dreidimensionaler Klanggestaltung vermehrt in den Mittelpunkt des Interesses.
Die TU Ilmenau konnte viele Räume zur Verfügung stellen. So gab es diesmal sogar Räume wie den hier gezeigten „TV Demo“, der die gesamte Zeit für eine Audioinstallation reserviert. Foto: Paul Niklas Krabbes (TU Ilmenau)
Dies schlägt sich auch in den prämierten Produktionen der 3D-Audio Production Competition in Ambisonics nieder, die bereits zum dritten Mal stattfand. Die Frage, wie und wofür man aus künstlerischer Sicht die 3D-Technik einsetzen sollte, wurde von den nominierten Teams und Einzeleinreichern teils sehr jung und frisch beantwortet. Darüber hinaus erwartete die knapp 150 Teilnehmer aus insgesamt 12 Ländern ein inhaltlich vielseitiges Programm mit 20 Vorträgen und ebenso vielen Intensiv-Workshops, 9 Postern, 12 Audio-Demonstrationen inklusive eindrucksvoller Festinstallationen sowie zwei Rahmen gebenden Keynotes.
Student‘s 3D Audio Production Competition
Das Grazer Team um Franz Zotter und Matthias Frank rief bereits zum dritten Mal zum 3D-Wettbewerb, und Student*innen aus ganz Europa und dieses Mal sogar den USA folgten der Einladung und lieferten ein breites Spektrum von Produktionen auf erstaunlich hohem Niveau in den Kategorien contemporary/computer music, audio drama/documentary/soundscape und music recording/studio production. Mit einer sorgfältig abgestimmten Halbkugel aus 31 Lautsprechern und 4 Subwoofern und dem bewährten akustischen Feinschliff der Mannschaft von concept-A gelang im TV-Studio der TU Ilmenau eine beeindruckende Wiedergabe. Für den kompletten Workflow von der Mischung bis zur Decodierung in Ambisonics 5. Ordnung und auch Binauralisierung stellt das IEM Graz kostenlos erhältliche Open-Source-Software zur Verfügung. Dadurch ist besonders für studentische Budgets eine bisher kaum überwindliche Hürde beseitigt, und die Vielzahl an Anmeldungen zeigt, dass die Strategie aufgeht.
Die Preisträger der dritten durch die Grazer Universität ausgerichteten 3D-Audio Production Competition in Ambisonics nach der Verleihung im Rahmen der ICSA 2019. Foto: Jörn Nettingsmeier
Get Together
Auch außerhalb der Vorträge, Workshops und der Ausstellung bot die ICSA ein reiches Programm. Den Anfang machte bereits ein geselliger Einstiegsabend noch vor Beginn der ICSA, bei dem sich alle bereits Anwesenden nicht nur bei Getränken und Snacks, sondern auch ganz aktiv in einer offenen Jam-Session kennenlernen konnten. Ein Get-together-Abend mit Barbecue sowie der geneinsame Festabend inklusive Dinner rundeten den sozialen Teil der Veranstaltung ab.
Vor dem feierlichen Dinner waren wir eingeladen, einem Konzert in der St. Jakobus-Kirche beizuwohnen. Nach drei Stücken von J.S. Bach (der Orgelfantasie g-moll, der Motette „Jesu meine Freude“ und der h-moll-Sonate für Blockflöte und Cembalo) folgte eine ambitionierte Welturaufführung unter Mitwirkung des gesamten Ensembles: das eindrucksvolle Werk Golgotha aus der Feder des ebenfalls anwesenden und mittlerweile 90jährigen Komponisten Günter Berger. Ein verstörendes Werk, manchmal vielleicht etwas plakativ, aber in seiner Intensität dem Ernst und der Schwere des Themas angemessen, mit bisweilen brutalen Flötenklängen, einem beeindruckend präzise agierenden Chor und einer sehr eindringlichen Orgel, honoriert durch minutenlangen Beifall. Nach einem nicht minder expressionistischen und bisweilen an Messiaens wildere Klänge erinnernden Orgelsolo (ebenfalls von Berger) wurde das Publikum mit den Agnus Dei aus der Missa Brevis von Palestrina entlassen – ein musikalisches Friedensangebot sozusagen, und der dramaturgisch gelungene Abschluss eines besonderen Abends.
Abendliches Orgelkonzert mit Welturaufführung und 3D-Mitschnitt am Rande der ICSA Foto: Christian Birkner
Mit technischer Unterstützung der HTWK Leipzig und der Mikrofonmanufaktur Microtech Gefell hatte ein Team der TU Ilmenau die gute Gelegenheit genutzt, diese einmalige Darbietung live in 3D-Audio mitzuschneiden.
Eine besondere Ehre war es dem VDT, während der ICSA dem inzwischen weitgehend in Ruhestand gegangenen Joachim Kiesler von MEG (www.me-geithain.de) für seine Verdienste um den Verband und der Branche die VDT-Ehrenmedaille zu verleihen.
Im Rahmen der Veranstaltung wurde Joachim Kiesler feierlich die Ehrenmedaille des VDT überreicht. Foto: Stefani Renner
Ein ganz besonderer Dank gilt allen beteiligten Sponsoren, von denen nicht wenige mit eigenen Ständen vor Ort einen aktuellen Überblick über ausgewählte Produkte und Leistungen gaben (https://vdt-icsa.de/sponsors/) und damit die Tagung nachhaltig bereicherten. Ihre Unterstützung hat diese Veranstaltung überhaupt erst ermöglicht! Gleiches gilt für die vielen Ehrenamtler und, last but not least, für die TU Ilmenau und ihre Gastfreundschaft.
BTW: Save The Date!
Nach der ICSA ist nicht nur vor der ICSA sondern vor allem auch vor der ebenfalls im Zwei- Jahres-Turnus stattfindenden Tonmeistertagung. Merken Sie sich daher schon jetzt den Zeitraum vom 07. – 10. Oktober 2020 als Termin der TMT31, welche im nächsten Jahr in den Räumlichkeiten des Congress Center Düsseldorf (CCD) sattfinden wird.